Steinskulptur 3-teilig
Anröchter Dolomit
150 x 25 x 25 cm, 100 x 50 x 50 cm, 050 x 70 x70 cm
Tagespflege Lossetal, Kaufungen, 2007
© Foto: Fernando Vagas, Kassel
„Menschen in Gesellschaft bringen – Gegen Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile“
„Ich bin dann mal weg!“
„Wohin gehst du?“
„Auf den Weg.“
„Bleibst du lange fort?“
„Möglich.“
„Kommst du wieder?“
„Ja!“
„Wirst du mich finden?“
„Vielleicht.“
„Was suchst du in der Fremde?“
„Mich.“
Ob man sich manchmal wünscht, sich nicht mehr erinnern zu können? Ja, ja schon möglich – sogar sicher, aber letztlich wünscht man sich eher alle Erinnerungen, die ‚guten’ wie die ‚schlechten’ , mit sich verein(bar)en zu können – ‚ganz’ zu sein mit sich und dem eigenen gelebten Leben. Wenigen gelingt es. Möglichkeiten gibt es fast immer…und wenn nicht? Dann bleibt das ‚Hier’. Das ‚Hier’ zu er-fahren, zu er-leben, zu er-spüren, bedarf der Spiegelung, d.h. der Begegnung mit ‚dem Anderen’. Bestenfalls existieren gleichwertige Kontakte – also menschliche Begegnungen, anderenfalls gilt es ‚Brücken zu bauen’ oder ‚Lücken zu schließen’, vielleicht auch ‚Kanäle zu öffnen’. Wie kann das geschehen? Durch Dinge, Sinneswahrnehmung, Körper, Sprache – Auslöser, Anregung, Ansprache, Neugier! Oder aber ‚Irritation’! Dies alles kann hier geschehen. An einem idyllischen ländlichen Ort, leben – betreut, versorgt, geschützt – alte Menschen, mit einem Erfahrungsschatz, mit individuellen Biografien, mit einem Leben, auf das sie nicht vollständig zurückgreifen können. Niemand ist allein – und doch…allein! Dies ist eine Erfahrung (- denn ich bin keine Therapeutin -) die viele Menschen täglich machen; es ist ein gesellschaftliches Phänomen. In allen Zeiten, in allen Kulturen – mit unterschiedlichen Vorzeichen und Hintergründen.
Künstler sind Übersetzer.
Sie machen lesbar, was chiffriert ist.
Die Wahl des Materials, der Form, der Art und Weise, der Bearbeitung, der Gestaltung – die Idee, die Konzeption, das Handwerk, das Medium sind bedeutende und einzigartige künstlerische Entscheidungen, die darüber bestimmen, ob ein Kunstwerk funktioniert oder nicht. Sie machen sichtbar, was nicht sichtbar ist. Der visuelle Aspekt ist wie eine Haut: unter ihr liegt ‚Alles’, d.h. Gefühltes, Gelebtes, Erinnertes – Schmerz, Leid, Lust, Freude, Verletzung, Verzicht und Fülle. Integration ist das Ziel. Integration bedeute in hohem Maße Selbstveränderung. Das ist vielleicht eine triviale Erkenntnis, doch ihre Folgen sind alles andere als trivial. Aus der Isolation heraus, oder von der Exklusion in die Inklusion: ist machbar! (Kunst) Werke funktionieren, wenn sie Kontakt knüpfen, wenn sie (sich) begreifen und aneignen lassen, wenn sie ‚Teil’ werden: Teil eines Momentes, einer Begegnung, einer Erinnerung – Teil von einem selbst.
Lutz Kirchner positioniert drei unterschiedlich große Steinquader an der Grundstücksgrenze; zwei ‚drinnen’, einer ‚draußen’ -„Außerhalb des Geheges“ Die Quader bilden eine Gruppe – gleich und ungleich gesellt sich gern – breit, flach, hoch, schmal, harmonisch, schlicht, gerade, aufstrebend, einladend, zugewandt – im Gespräch(!?) Lutz Kirchner nobilitiert den Stein – glättet, schleift, poliert – um ihn „hoffähig“ zu machen. Darüber hinaus vermag die feine Politur innere Strukturen, Lebensalter und Charakteristik des Stein zum Vorschein zu bringen: man erkennt plötzlich Muschelsedimente und ‚Verletzungen’ und lernt den Stein zu ‚lesen’. Dann beginnt über die Gestaltung hinaus, die künstlerische Arbeit. Er nimmt weg, er ‚skulpiert’, er trägt ab….ebenso wie er ‚hinzufügt’ und ‚sichtbar macht’.
Hier, bei der Arbeit von Lutz Kirchner, haben wir es einerseits tatsächlich mit Skulpturen zu tun, andererseits mit Sockeln, die die eigentliche Skulptur vermissen lassen. Was bleibt, ist eine Spur – ein Abdruck, ein Zeichen, ein Beweis: ich war da! Die „Drei Gestalten“ – zwei zu eins getrennt durch einen begrenzenden, aber ‚harmlosen’ Holzzaun, verweisen zunächst auf das ‚klassische’ Denkmal, die ‚Herrscherfigur’ auf einem erhöhen Fundament – eine Bühne für die Edlen. Durch ihre ‚Absenz’ und unsere gemeinsame Abkehr vom Absolutismus bezeugen sie die Wandlung vom Einzelnen zur Gemeinschaft. Das einander Zugewandte ist noch erkennbar und richtungweisend: deren Fußspuren lassen erkennen, wie sie zueinander standen! Symbol und Aufruf zum Dialog: imaginiert man nämlich die ‚fehlenden’ Körper auf ihren Fundamenten, dann ergibt sich eine grenzüberschreitende Kommunikation – es gibt ‚dort oben’ keinen Zaun, keine Mauer, keine Grenze mehr. Außerdem ist der Ort, den Lutz Kirchner wählt, von entscheidender Bedeutung – es ist kein prädestinierter Ort, es ist kein repräsentativer Ort, sondern ein bescheidenes, stilles Stück Heimat. Ganz leicht gelingt hier Begegnung: die Objekte sind ihrem ausschließlichen Kunstcharakter enthoben und zum ‚Gebrauch’ freigegeben. Gegen eine pure Adaption vergangener Symbolsprachen spricht tatsächlich der ‚Nutzwert’: sich setzen, sich ausruhen, sich anlehnen ich hier nicht nur erlaubt, sondern gewünscht! Lutz Kirchner rekonstruiert Erinnerung, ohne vorzuschreiben, ohne konkret zu beschreiben – er gibt durch seine Arbeit Vorgaben, Anregungen: mental und taktil.
Wie schrieb eine Freundin so poetisch: „…wenn Vögel von dem Regenwasser trinken, welches sich in den ausgehöhlten Fußspuren sammelt oder aber der Winterschnee die Geste überdeckt, dann sind wir aufgefordert neu zu sehen.“
ABSTRACTS:
Juliane Gallo, M.A.
Freie Kunsthistorikerin& Museumspädagogin
Breitscheidstr.18
34119 Kassel